Die Harmonisierung der IT-Landschaft ist eine organisatorische Herausforderung | Teil 1

digitalisierung-healthblog-akquinetIn der Sozialwirtschaft polarisiert aktuell kaum ein anderes Thema so wie das der Digitalisierung. Welche Perspektiven ergeben sich für etablierte soziale Organisationen und welche Erfahrungen konnten diese bereits machen? Samuel Breisacher, Regionalvorstand CJD, gibt einen Einblick über Herausforderungen und teilt Praxiserfahrungen über geplante und umgesetzte Digitalisierungsvorgänge der Organisation.

Steigende Anforderungen und Fachkräfteknappheit zwingen zu Rationalisierung

„Unser Antrieb zur Digitalisierung rührt auch und insbesondere aus dem sich wandelnden Geschäftsumfeld.“

Seitens unserer Auftraggeber, z. B. der Agentur für Arbeit, erfahren wir ein immer stärkeres Controlling, was mit höheren Anforderungen an die Dokumentation und den Nachweis der erbrachten Leistungen einhergeht. Daraus erwachsen ganz neue Anforderungen an die unterstützenden Prozesse wie Rechnungsstellung, Verbuchung und Versand. Darüber hinaus schreibt das Bundesteilhabegesetz vor, komplexe Leistungen, die bislang über eine Pauschale abgerechnet wurden, jetzt für verschiedene Kostenträger aufzuschlüsseln. Damit verbunden steigt der Administrationsaufwand. Infolge der steigenden Transparenz nehmen die Kostenträger aber auch stärkeren Einfluss auf die Art und Weise, wie die versprochenen Leistungen erbracht werden. Wenn Personalschlüssel und Zeiten detailliert vorgeschrieben und zu dokumentieren sind, dann bleibt uns als Unternehmen als einziger Hebel für die Effizienzsteigerung letztlich nur die Automatisierung der unterstützenden Prozesse. Kurzum:

„Wir kommen nicht umhin zu rationalisieren – und dies nicht nur wegen des anhaltenden Kostendrucks bei zunehmender Belastung durch administrative Aufgaben, sondern auch und insbesondere wegen des demografischen Wandels.“

Denn die akute Knappheit an Fachkräften geht früher oder später mit steigenden Personalkosten zur Sicherung des Personalstandes einher.

So reicht es über kurz oder lang nicht mehr aus, die erbrachten Leistungen in herkömmlicher Form händisch zu erfassen und einmal monatlich eine Rechnung zu erstellen. Vielmehr sollten und müssen wir in naher Zukunft in der Lage sein, die Rechnung vollautomatisiert aus der Dokumentation heraus zu erstellen. Dies bedeutet im konkreten Fall, dass ein Sozialpädagoge zukünftig die vor Ort erbrachte, Fachleistung online dokumentiert und damit Rechnungsstellung und Buchungsvorgänge direkt auslöst. Heute benötigen wir hierfür noch verschiedene Mitarbeiter, die Fachleistungsstunden zusammentragen und in das System einbuchen. Der Anreiz zur Digitalisierung geht aber nicht nur von den Kostenträgern, sondern auch von unseren Kunden aus, die auch dank digitaler Werkzeuge immer selbstständiger und selbstbewusster werden. Entsprechend steigen auch deren Anforderungen, z. B. im Hinblick auf die von uns angebotenen Zugangswege.

„Themen wie Self Services oder Apps für den Zugang zum Leistungserbringer werden vor diesem Hintergrund immer wichtiger.“

Die Standardisierung der IT ist im Kern eine organisatorische Herausforderung!

Angesichts des sich ändernden geschäftlichen Umfelds und der damit verbundenen Risiken entschied schließlich der Vorstand, eine Initiative zur Zentralisierung und Harmonisierung der IT Systeme zu starten. Bei mehr als 250 zumeist historisch gewachsenen und weitgehend eigenständig arbeitenden Standorten ist dies eine immense Herausforderung. Schließlich beschränken sich die Standardisierungsbemühungen nicht nur auf den Umbau der technischen Systeme, sondern wirken sich auch auf die Arbeitsweisen der Mitarbeiter und Führungskräfte aus.

So sind unsere Mitarbeiter vor Ort künftig gefordert, ihre Fachleistungsstunden von den Kunden quittieren zu lassen, um so Buchungen direkt vorzunehmen. Das gesamte Setting, also die Beziehung zwischen Kunden und Fachkräften, wird damit transparenter, was wiederum mit der Angst vor Überwachung und vor einem zunehmenden Leistungsdruck einhergeht. Bei den Mitarbeitern auf kaufmännischer Ebene entsteht wiederum Angst, nicht mehr gebraucht zu werden und sich verändern zu müssen. Um weiter beschäftigungsfähig zu bleiben, sind die Buchhalter aufgerufen, sich zu Controllern oder ggf. zu Stütz- und Förderlehrern weiterzuentwickeln.

Und auch die Führungskräfte stehen vor neuen Herausforderungen: Sie sollen auf der einen Seite die Mitarbeiter auf diesem Weg mitnehmen, verlieren aber auf der anderen Seite an Einflussmöglichkeiten. Das Non-Profit-Unternehmen der Zukunft braucht weitestgehend selbstständig und selbstorganisierte Mitarbeitende. Dazu müssen die Tools für die Mitarbeitenden zur Verfügung stehen. Zugleich wird das Wirken der Führungskräfte deutlich transparenter.

Mit diesen Themen müssen sich Organisationen im digitalen Wandel auseinandersetzen. Widerstände seitens der Mitarbeiter und Führungskräfte sind hier ganz natürlich, zumal sich ja der Großteil unserer Mitarbeiter irgendwann einmal sehr bewusst für Beziehungsarbeit entschieden hat. Entsprechend groß ist deren Zurückhaltung im Hinblick auf Standardisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen.

„Für die IT-Verantwortlichen oder Initiatoren digitaler Initiativen wird es damit schwer, Mehrheiten in den Entscheidungsgremien zu organisieren, die wiederum notwendig sind, um die für die Modernisierung erforderlichen Budgets zu erhalten.“

Allerdings erleben die Mitarbeiter und Führungskräfte derzeit in ihrem privaten Umfeld auch, dass sich Abläufe mit Skype oder WhatsApp, also mit neuen Technologien effizienter erledigen lassen. Entsprechend erreichen uns zunehmend Forderungen, solche Technologien auch im unternehmerischen Kontext zu implementieren. Dieses Momentum wollen wir nutzen, um die Mitarbeiter und Führungskräfte von der Notwendigkeit der Standardisierung und Harmonisierung zu überzeugen und in den Entscheidungsgremien für eine Modernisierung der IT-Infrastruktur zu werben.

Eine Harmonisierung der IT-Anwendungen ist nur der erste Schritt, auch die Datenerfassung sollte standardisiert erfolgen

Unsere Initiative zur Zentralisierung und Harmonisierung der IT startete im Jahr 2015. Als Verantwortlicher stand ich zunächst vor der Aufgabe, unsere IT-Abteilung neu zu strukturieren. Wir haben in der Folge drei Bereiche auf- bzw. weiter ausgebaut: 1) Infrastruktur und Systeme, 2) Applikationsmanagement sowie 3) Service Management und Endgeräte.

„Eine Zentralisierung der IT, bei der zwar die gleichen Anwendungen zum Einsatz kommen, die aber lokal nach eigenem Gusto eingerichtet werden, reicht aber nicht aus, um aus den generierten Daten Mehrwerte zu erbringen. Wir müssen uns auch bei der Art der Datenerfassung auf Standards verständigen.“

An dieser Stelle stehen wir heute. Ab hier wird es aber auch schwierig. Denn die Mitarbeiter und Führungskräfte vor Ort sind gefordert, Verhaltensmuster zu ändern. Für die lokalen Einheiten entsteht zudem ggf. zusätzlicher Aufwand, da bei der Erfassung der Daten auch überregionale Themen berücksichtigt werden müssen.

Bereits vor der Zentralisierung unserer IT etablierten wir ein Dienstleistungszentrum, in dem unterstützende Prozesse wie Buchhaltung und Personalverwaltung ähnlich eines Shared-Service-Zentrums gebündelt und einheitlich abgebildet werden – wobei wir die Digitalisierung noch gar nicht im Blick hatten. Dass die Zentralisierung der IT erst später erfolgte, betrachte ich aus heutiger Sicht als Nachteil. So müssen wir heute rückwirkend im Applikationsumfeld wieder Dinge ändern, die aus Sicht der Fachabteilungen zwar zunächst sinnvoll, aber aus IT-Sicht letztlich suboptimal erscheinen.

Der Aufbau des Dienstleistungszentrums, wie auch die Zentralisierung der IT, waren erste Schritte hin zu einem digitalen Wandel, wobei die Digitalisierung als zentrales Thema für die Organisationsentwicklung bis dahin noch eine untergeordnete Rolle spielte. Dies änderte sich in den darauffolgenden Jahren.

Gastautor: Samuel Breisacher, CJD (Christliches Jugenddorfwerk), Regionalvorstand

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