New Work in der Sozialwirtschaft

new-work-in-der-sozialwirtschaft-4Essen auf Rädern oder Lieferando? Wie die Digitalisierung die Arbeit in der Sozialwirtschaft verändert

Nachbericht zur Veranstaltung „New Work in der Sozialwirtschaft“ vom 12. Februar 2019 von Dr. Martin Weiß

Schon, dass es mehr Anmeldungen als Plätze für unsere Veranstaltung „New Work in der Sozialwirtschaft“ gab, zeigte uns: Das Thema trifft einen Nerv. Was erwartet uns als Leiter von Einrichtungen, Verbänden oder ambulanten Diensten, als Sozialer Komplexträger oder Berufsförderungswerk, Werkstatt und Unternehmen der beruflichen Ausbildung, Rehabilitation, Fort- und Weiterbildung? Was müssen wir tun, um den Anschluss an die digitale Zukunft nicht zu verpassen? Mit über zwanzig hochkarätigen Teilnehmern war der Veranstaltungsraum bei AKQUINET am 12. Februar in Hamburg sehr gut besucht und der rege Austausch sofort im Gange.

Sozialwirtschaft vor einer Richtungsentscheidung

In meinem ersten Impulsvortrag habe ich gezeigt, wohin die digitale Reise für die Sozialwirtschaft gehen kann und was in anderen Ländern bereits Realität ist. Im Ausland werden Assistenzroboter eingesetzt, um Menschen mit Assistenzbedarf zu unterstützen, digitale therapeutische Unterstützung bis hin zur digitalen Robbe zum Knuddeln. Aber damit wird es zukünftig noch lange nicht zu Ende sein. Assistenzroboter und -systeme, die den Menschen auch zur Teilnahme am sozialen und gesellschaftlichen Leben im sozialen Raum befähigen, werden immer mehr Teil unseres Miteinanders und Zusammenlebens. Manche Szenarien kamen den Teilnehmern spontan befremdlich vor. Ich glaube aber, dass wir sehr offen an die Zukunftsszenarien herangehen sollten.

Fakt ist, dass Pflege und Assistenz viel mehr als bisher Teil des öffentlichen Sozialraums werden. Senioren-WGs, Mehrgenerationen-Häuser – solche Themen sind in der öffentlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken. Und das ist gut so. Denn der Mensch bestimmt immer mehr selbst- und eigenständig, wie er sich Assistenz und Versorgung wünscht und als Kunde erwartet. Weg von der Einheitsversorgung hin zu einer diversifizierten Angebots- und Auswahlstruktur. Gleichzeitig ist die klassische Versorgung und Pflege schon heute an ihre Leistungsgrenzen gekommen. Die steigende Zahl alter Menschen wird dies noch zuspitzen. Digitalisierung bietet hier enorme Chancen, um den Personalnotstand auf der einen Seite und steigende Wünsche auf der anderen Seite zu vereinen.

Daher steht die Sozialwirtschaft vor einer Richtungsentscheidung: Wenn sie sich nicht selbst den digitalen Möglichkeiten für neue Angebote rund um den Menschen öffnet, werden (bisher noch) branchenfremde Player dies übernehmen – und zwar in einer Geschwindigkeit, mit welcher wohl das eine oder andere Sozialunternehmen nicht mitgehen kann. Es platzieren sich im Markt der Sozialwirtschaft in Deutschland immer mehr Investoren, welche das Potential und die Marktmöglichkeiten nicht nur erkannt, sondern mit einer konsequenten Digitalstrategie für sich erschließen. Die Basis bildet die konsequente Digitalisierung der Unternehmensprozesse, der eigenen Organisation, der Arbeitsmittel für die Kolleginnen und Kollegen, der Kommunikation mit Kunden und der Angebots- und Leistungsplatzierung im Markt.

new-work-in-der-sozialwirtschaft-3Kompetenzen zur Bewertung digitaler Ansätze gesucht

Den zweiten Vortrag hielt Samuel Breisacher, Regionalvorstand des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschland e.V. (CJD) und verantwortlich für den Zentralbereich Digitalisierung und IT-Service. Auch Samuel Breisacher war überzeugt, dass die Sozialwirtschaft ihre Angebote erweitern und am Kunden der Zukunft ausrichten muss. Hierfür sollten Plattformökonomien genutzt werden. Am Beispiel Essen auf Rädern lässt sich die Entwicklung sehr gut darstellen. Dank des Internets, mobiler Endgeräte und gesellschaftlichem Wandel kommt heute Essen auf Rädern von Delivery Hero, Foodora oder Lieferando. Lassen sich derartige Plattform-Angebote nicht für die Sozialwirtschaft übernehmen? Die Digitalisierung bietet die ganz große Chance bisherige Sonderleistungen für Menschen mit Behinderung alltagstauglich für jedermann anzubieten. Gefragt ist an der Stelle das Um-die-Ecke-denken. Digitalisierung so gedacht, trägt wesentlich zu mehr Chancengleichheit und einer inklusiven Gesellschaft bei.

Samuel Breisacher zeichnete auch ein IST-Bild vieler sozialwirtschaftlicher Einrichtungen heute: Sie haben viele einzelne Anwendungen zu steuern, die jeweils nur einen Teil ihrer Fachprozesse abbilden. Das große Puzzle der Anwendungen zu einem Bild zusammenzufügen bindet sehr viele Ressourcen. Mit der Digitalisierung, so der Eindruck vieler Verantwortlicher, kommen wieder neue Herausforderungen hinzu. Das Puzzle wird gefühlt noch größer. Doch, das zeige der Blick über den eigenen Berufsalltag hinaus, könne die Digitalisierung laut Breisacher gerade dazu beitragen, die Prozesse zu vereinfachen oder gar radikal zu hinterfragen. Es bedarf jedoch großen Mut und Durchhaltevermögen, um Geschäftsprozesse wie auch Qualifizierungsprozesse konsequent von A bis Z zu digitalisieren.

Laut Breisacher hat die Digitalisierung der Arbeitswelt und des gesellschaftlichen Lebens wesentlichen Einfluss auf die benötigten fachlichen wie auch überfachlichen Kompetenzen, um in der Arbeitswelt der Zukunft bestehen zu können. Dafür müsse sich die berufliche Bildung wie auch die Fort- und Weiterbildung selbst verändern. Die Rolle des Lehrers, Ausbilders muss sich verändern, damit Menschen auf die Herausforderungen einer digitalen Arbeitswelt gut vorbereitet werden. Die Lehrkraft wird zum Prozessbegleiter, Moderator und Motivator. Auszubildender und Ausbilder befinden sich in einem gemeinsamen Prozess der Wissens- und Kompetenzaneignung.

Bisher bekannte Berufsbilder werden sich in naher Zukunft rasch verändern. Neue Berufe an der Grenze zwischen IT bzw. Maschine und Mensch werden entstehen. In vielen Berufen werden sich die Anforderungen und die erforderlichen Kompetenzen stark verändern. Der Mitarbeiter der Zukunft muss seine Arbeit eigenständiger organisieren können. Analytische, koordinierende und überwachende Tätigkeiten werden zunehmen. Darüber hinaus werden personale Kompetenzen wie z. B. Selbstorganisation und Kooperationsfähigkeit gefragt.

Gehen uns Kompetenzen durch die Digitalisierung verloren?

In der an den Vortrag anschließenden Diskussion waren sich die Zuhörer einig, dass die Chancen der Digitalisierung die Gefahren überwiegen. Besonders die Kundenorientierung und Kundenansprache können durch die digitalen Angebote erhöht werden. Aber es kam auch die Frage auf, welche unserer Kompetenzen uns durch die Digitalisierung vielleicht verloren gehen werden.

Ein Blick in die digitale Zukunft mit Microsoft HoloLensnew-work-in-der-sozialwirtschaft-5

Anschließend stellte uns Alexandra Schröder, Partner Technology Strategist bei Microsoft, die HoloLens vor. Sie erklärte den Unterschied zwischen Virtual, Mixed und Augmented Reality anhand anschaulicher Beispiele. Sie zeigte, welche Technologien in der HoloLens vereint sind, um die reale und virtuelle Welt so miteinander zu verbinden, dass Hilfestellungen und Assistenz im realen Raum möglich werden. Gerade in der Aus-, Fort- und Weiterbildung sind hier mit der HoloLens immense Möglichkeiten und Zukunftspotentiale vorhanden. Nachdem sie uns über den Beamer an ihrer Nutzung der Brille teilnehmen ließ, waren die Zuhörer schon gespannt auf den eigenen Livetest.

new-work-in-der-sozialwirtschaft-2Interessensvertretung für Menschen mit Handicap

Im letzten Vortrag stellten Rükiye Ray, Integrationsbeauftragte von AKQUINET, und Thomas Tauer, AKQUINET-Vorstandsmitglied, vor, wie die Inklusion von Menschen mit Handicap bei AKQUINET gelebt wird. Gemeinsam mit der Stiftung Alsterdorf gründete AKQUINET eine gemeinnützige Gesellschaft, die auch Menschen mit Behinderungserfahrung einen herausfordernden Arbeitsplatz bietet. Mindestens 40 Prozent der Belegschaft haben einen Schwerbehindertenausweis und bzw. oder weitere Vermittlungshemmnisse, welche die Teilhabe am Arbeitsleben behindert. 2016 wurde Rükiye Ray als Integrationsbeauftragte eingestellt, um die Interessen und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungserfahrung im Unternehmen zu vertreten. Auch über die gemeinnützige Gesellschaft hinaus beschäftigt AKQUINET heute überdurchschnittlich viele Menschen mit einem Handicap aus der Überzeugung und Erfahrung heraus, dass sich dies im beruflichen Alltag und Miteinander leben und vereinbaren lässt. Nach und nach weitete sich der inklusive Ansatz zudem auf einen umfassenden Diversity-Ansatz aus, der nicht nur in der Führungskultur, sondern bei jeder Kollegin und jedem Kollegen fest verankert ist

Zum Abschluss testeten die Teilnehmer die Microsoft HoloLens und waren begeistert von den Möglichkeiten. Nach ersten „Oohs“ und „Aahs“ entstanden nach dem Test auch Bilder im Kopf, wie sich die HoloLens im eigenen Umfeld einsetzen ließe, ob bei Patienten oder Mitarbeitern. new-work-in-der-sozialwirtschaft-1

Es ist klar, dass wir hier weiter intensiv die Möglichkeiten mit der HoloLens vorantreiben werden.

Wir bedanken uns bei den Zuhörern für das Kommen und ihr großes Interesse sowie den intensiven Austausch. Aufgrund des Zuspruchs planen wir eine nächste Veranstaltung zu dem spannenden Thema New Work in der Sozialwirtschaft. Sind Sie an weiteren Informationen über New Work in der Sozialwirtschaft interessiert? Kontaktieren Sie uns gerne.

Link zur Fotogalerie: Event New Work in der Sozialwirtschaft.

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