Plattformökonomien im Kontext eines überregionalen Sozialunternehmens

plattformoekonomie-in-der-sozialwirtschaft-fachtag-akquinet-2Fachtagung Plattformökonomie in der Sozialwirtschaft am 19. Februar in Hamburg – ein Rückblick

Im dritten Vortrag stellte Samuel Breisacher, Regionalvorstand beim Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands gemeinnütziger e. V. (CJD), die Plattform-Bestrebungen beim CJD vor. Der Komplexträger mit 150 Standorten in ganz Deutschland hat ein breites Angebotsspektrum und bietet damit für fast jegliche Bedarfsform der Sozialwirtschaft ein differenziertes Leistungsangebot. Das CJD ist ein gemeinnützig anerkannter, eingetragener Verein, der von einem hauptamtlichen Vorstand geleitet wird. Etwa 10.000 hauptamtliche Mitarbeitende und viele Ehrenamtliche unterstützen im Laufe eines Jahres rund 155.000 Menschen.

Zu Beginn brachte Samuel Breisacher das Beispiel einer Plattform, bei der man nicht nur nach einer Pflege für Angehörige, sondern z. B. auch für sein Haustier oder seine Pflanzen suchen kann. Bei diesem Angebot würden Bereiche zusammengedacht werden, die man als Brancheninterner nie so ins Auge gefasst hätte. Es zeige, dass die Angebote der Sozialwirtschaft breiter und konsequent aus Sicht der Kunden gedacht werden müssen. Die Frage sei nicht, wie man eigene Angebote digitalisiert bekomme, sondern wie man einen Mehrwert erzeuge.

Sozialwirtschaft als einer der größten Märkte sehen

Breisacher ist fest überzeugt, dass wir nicht an der Digitalisierung vorbeikommen. Man müsse dabei bedenken, dass der Markt der Sozialwirtschaft einer der größten deutschen Märkte sei, weit größer beispielsweise als so manche etablierte groß- und mittelständische Industriebranche in unserem Land. Dies wecke Interessen branchenfremder Player, die aber in der Digitalisierung schon weiter wären und vor allem schon in den Startlöchern stehen.

Als konkrete Herausforderungen zur Nutzung bzw. dem Aufbau von Plattformangeboten nannte Breisacher:

  • Die hinter dem Onlineangebot stehenden Prozesse müssen standortübergreifend angeglichen werden.
  • Das Interesse der Leistungserbringer an einem „freien“ Markt ist noch zu gering.
  • Plattformgesteuerte Angebote entziehen den einzelnen Anbietern ihre Deutungshoheit. Dies übernimmt derjenige, der die Leistung online aufruft, vergleicht und ggf. abruft.
  • Datensilos in sparten- und fachspezifischen Systemen behindern die für eine gemeinsame Plattform erforderlichen Datenaggregationen und Datenpotentiale.
  • Die starken „Beharrungskräfte“ der unterschiedlichen Akteure in der Sozialwirtschaft, also das Beharren auf bestehenden Prozessen, behindern die Digitalisierungs-Bestrebungen enorm.

Breisacher bot einen visuellen Überblick über die IT-Landschaft des CJD mit zahlreichen Systemen und Anwendungen. Das Ziel des CJDs ist es, diese Anzahl zu reduzieren, um intern und extern schneller und einfacher Informationen zu tauschen und so die Zusammenarbeit zu verbessern. Dies sah der Redner als zwingende Voraussetzung für die Teilnahme an Online-Plattformen.

Als die drei Handlungsfelder der Digitalisierungsstrategie des CJD nannte er

  1. Infrastruktur schaffen (Hardware, Software, Geschäftsprozesse, Carrier-Anbindung),
  2. Qualifizierung der Mitarbeitenden, der Führungskräfte inklusive einer Werteorientierung und
  3. Entwicklung neuer Angebote wie mobiler und agiler Services, die als Leuchtturmprojekte dienen.

In Bezug auf die von Dr. Martin Weiß eingangs vorgebrachten drei Einstiegsszenarien in die Plattformökonomie betonte Breisacher, dass das CJD in seinen zentralen Leistungsbereichen die Angebote selbst machen wolle, in anderen Bereichen dagegen auch auf das zukünftige Potential der großen Plattform-Player für die Sozialwirtschaft mit setzen könnte, da diese diejenigen sein werden, welche regionale oder Verbandsorientierte Plattformen in Potential und Leistung voraus sein werden. Breisacher sah es als Ziel an, zeitlich und räumlich individualisierbare Angebote zu schaffen. Insbesondere Lernangebote für die berufliche Aus- und Weiterbildung seien hier interessant, beispielsweise für Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Auch lasse sich das klassische Angebot des Hausnotrufs heute zum Beispiel über Amazon Echo oder andere intelligente Lautsprechersysteme leicht an den Pflegedienst andocken, in anderen Ländern schon durchaus erfolgreiche Praktik. Breisacher betonte, dass bei aller Technologie die Beziehungsarbeit das Hauptgeschäftsfeld sei und bleibe, und neue Angebote entsprechend zusätzliche Mehrwerte bieten könnten.

Zusammenfassend betonte Breisacher, dass die IT strukturell an den Business-Aktivitäten beteiligt sein müsse und der Weg in die digitale Zukunft nur ein gemeinsamer Prozess sein könne. So könne zunächst die technische Infrastruktur als möglichst schnittstellenarmes Ökosystem aufgebaut werden, um dann neue individualisierte Geschäftsmodelle auf Basis standardisierter Geschäftsprozesse aufzubauen. Man solle auf dem Weg offen sein für ungewöhnliche Ideen und alle Beteiligten mit einbeziehen.

Teil 4 vom Rückblick des Fachtags Plattformökonomie für die Sozialwirtschaft bei AKQUINET:

Plattformökonomie im Kontext Beruflicher Bildung und Rehabilitation