Plattformökonomien in der Sozialwirtschaft – was wird sein …

plattformokonomie-in-der-sozialwirtschaft-fachtag-in-hamburg-akquinetFachtagung Plattformökonomie in der Sozialwirtschaft am 19. Februar in Hamburg – ein Rückblick

Als Gastgeber in den Hamburger Räumlichkeiten der akquinet AG begrüßte Dr. Martin Weiß, Geschäftsführer des Bereichs Sozialwirtschaft bei AKQUINET, die etwa 25 Teilnehmenden. Er führte direkt in das Thema des Tages ein mit der These, dass die Plattformökonomie unser Leben schon heute und künftig immer stärker verändert, sei es im privaten oder beruflichen Kontext. Den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp hatten Ende Februar 2020 zum Beispiel weltweit fünf Milliarden Menschen schon mal installiert, davon sind Anfang März 2020 über zwei Milliarden aktive Nutzer.

Der Trend der Plattformökonomie in allen Lebens- und Geschäftswelten ist unumkehrbar.

Dr. Martin Weiß erläuterte beispielhaft vier Ansätze für Plattformen: Transaktion, Innovation Integration und Investment. Was alle eint, ist der Netzwerkeffekt und das Potential von Kooperationen und Synergien über sonst segmentierte Branchen- und Wirtschaftssektoren hinweg. Je mehr auf einer Plattform agieren und sich vernetzen, desto weniger Transaktionskosten entstehen und desto mehr Nutzen entsteht aus der Plattform für die Partizipation an differenzierten Leistungen sowie unterschiedlichsten Produkten. Das im Kern interessante Zahlungsmittel sind Daten, so Weiß. Wie Plattformen wie Google, Facebook, Alibaba und Amazon zum Beispiel den Werbemarkt mitbestimmen, so haben diese Plattformen das Potential auch den Markt der Sozialwirtschaft zu verändern.

Das BTHG hat laut Dr. Martin Weiß hierfür mit dem angebotsorientierten statt dem bisherigen leistungsorientierten Ansatz die Basis geschaffen. Dabei ziehe zukünftig ein Pull-Effekt die Kunden auf die Plattformen. Dort stehe nicht mehr der Anbieter im Mittelpunkt, sondern der Kunde.

Für die Sozialwirtschaft könne man aus dem Plattform-Trend schließen, dass regionale Anbieter an Bedeutung verlieren werden. Märkte können über Plattformen völlig anders adressiert werden. Geschäftsmodelle seien leichter skalierbar, denn Steuerung und Organisation eines Angebots seien komplett digital.

„Welche Art der Plattformökonomie ist gut für mich?“

Dr. Martin Weiß führte weiter, dass man sich als Branchenteilnehmer nicht mehr die Frage stellen könne, ob man künftig Teil einer Plattformökonomie werden wolle, sondern nur: „Welche Art der Plattformökonomie ist gut für mich?“ Hierfür gebe es drei Antwortmöglichkeiten:

  1. Ich baue eine eigene Plattform auf:
    Das Ziel ist hierbei den Kunden „von der Wiege bis zur Bahre“ zum „Follower“ zu machen. Andere Anbieter können die eigenen Leistungen auf der Plattform in diesem Sinne ergänzen.
  2. Ich beteilige mich an einer existierenden, großen Plattformökonomie:
    Der Vorteil ist hier, dass man sich an die extreme Reichweite der Anbieter andocken könne. Ein weiterer Faktor hier ist hier laut Dr. Weiß auch, dass die Sozialbranche sowie der erste und zweite Gesundheitssektor immer mehr verschmelzen und so neue große Player für die Sozialwirtschaft interessant werden. Neue Player, die nicht aus der Sozialwirtschaft selbst oder durch welche Vereinigungen daraus auch immer selbst entstehen, sondern bisher branchen- und sektorenfremde Player.
  3. Ich schließe mich mit Gleichgesinnten zusammen und baue eine Verbands- oder Branchenplattform auf:
    Bisher existieren trotz einiger Ansätze noch keine solchen Plattformen, die einen Mehrwert für alle Beteiligten mit signifikanten Elementen und entsprechenden „Killer-Features“ bieten.

Anbieter haben sich heute dringend zu fragen, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen, um einen der drei Wege gehen zu können. Aus Sicht von Dr. Weiß ist es erforderlich, die eigenen Daten und Angebote schnell und einfach digital orchestrieren zu können. Zugleich müsse die Sicherheit der Daten gewährleistet sein. Die Basis für Plattformökonomie sei immer eine konsequente Digitalisierung aller Prozesse, und hier auch aller beteiligten Personen, die mit den entsprechenden Arbeitsmitteln ausgestattet werden müssten.

Hurra, und morgen bin ich digital?

Wichtig ist es laut Dr. Weiß, den Weg in die Digitalisierung und so auch in die Plattformökonomie strategisch zu planen. Dabei sei der Kunde der Leit-Stern, die eigenen Angebote könnten nur an und mit ihm weiterentwickelt werden, z. B. durch entsprechende Datenmodellierung. Es sei zu erwarten, dass genau die bisher marktfernen Player diese neuen Angebote einbringen werden, Verbandsplattformen und dadurch wieder in sich gekapselte Angebote haben es hier schwer.

Wie soll die Digitalisierung in der Sozialwirtschaft denn funktionieren?

In der Sozialwirtschaft gibt es das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis mit Leistungserbringern, Leistungsempfängern und Kostenträgern. Statt eines freien Marktes gibt es also zudem eine staatliche Kontrolle. Viele Kunden sind noch geprägt von einer Versorgungsmentalität: Der Staat versorgt mich mit Geld und Leistungen. Bei diesen Strukturen ist es für Marktteilnehmer nicht einfach, in eine konsequente Digitalisierung zu investieren. Dennoch ist Dr. Weiß überzeugt, dass es für Marktteilnehmer ohne ein digitales Plattformangebot immer schwieriger werden wird, sich am Markt zu positionieren. Wichtig sei es, nicht mehr in Form von in sich geschlossenen Angebotspaketen als „Sozialunternehmen“ zu denken, sondern sich mit einzelnen modularen Angeboten entlang des Lebenswegs des Kunden zu orientieren.

In der anschließenden regen Diskussion stellte Melanie Schlotzhauer, Mitglied der Geschäftsführung der PEPKO, die Innovationskraft der Leistungsträger, die ja durch das Leistungsdreieck gebunden seien, in einen intensiv zu bearbeitenden Kontext.

Hanne Stiefvater, Vorstandsmitglied der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, verwies darauf, wie dringend nötig es sei, die Angebote vom Kunden her zu denken. Als Beispiel brachte sie den Fachbegriff „Verhinderungspflege“ auf, der bei den Kunden auf Ablehnung und Unverständnis stoße. Solche Begriffe hätten in der Kundenkommunikation der Zukunft nichts zu suchen. Für die Ev. Stiftung Alsterdorf zeigte sie als Beispiel auf, dass die ESA den Weg zu regionalen Partnern suche, um on- und offline den Menschen möglichst viele Zugänge zu den Angeboten in ihrer Nähe zu bieten.

Ronald Neef von der Brücke Lübeck gGmbH, berichtete von Projekten, bei welchen aus seiner Sicht zu wenig Vertreter mit IT-Knowhow vertreten sind, so dass nicht immer klar sei, was technologisch möglich und sinnvoll sei für ein solches Projekt.

Für eine weitere fachliche vertiefende Diskussion und Themenbearbeitung auf Basis der zugrunde liegenden Arbeits- und Forschungsergebnisse wenden Sie sich gerne an Herrn Dr. Martin Weiß direkt.

Teil 2 vom Rückblick des Fachtags Plattformökonomie für die Sozialwirtschaft bei AKQUINET:

Plattformökonomien im Kontext eines regionalen Sozialunternehmens