Digitalisierung in der Sozialwirtschaft – Ist-Situation und Chancen

digitalisierung-in-der-sozialwirtschaft-healthblog-akquinetDigitalisierung in der Sozialwirtschaft: Rahmenbedingungen

Die Alterspyramide, die sich in den letzten 30 Jahren vom Tannenbaum zum Pilz entwickelt hat, kennen wir alle und wissen: Deutschland wird immer älter und das geschieht in immer schnelleren Zyklen. Das bedeutet, dass viele Menschen ihr Leben länger genießen und an unserer Gesellschaft aktiv teilnehmen können. Aber es gibt auch immer mehr Pflegebedürftige, vor allem an Demenz erkrankte Menschen, die betreuungsbedürftig sind. Es gibt so viele ältere und bald alte Menschen in Deutschland, dass sie heute eine gewichtige Stimme haben und sich aktiv an der politischen Diskussion um die künftige Gestaltung der Pflege beteiligen. Viele wollen in ihrer Wohnung bleiben und dort unterstützt und gepflegt werden.

Doch ob zuhause oder im Heim wohnen: Das Kernproblem – der Mangel an Pflegekräften – ist enorm groß, eine Besserung ist nicht in Sicht. Zudem wird die Pflege künftig teurer. Meist deckt die Versicherung nur einen Grundbedarf ab, der sich künftig noch verringern wird. In dieser momentan sehr angespannten Gesamtsituation um die Assistenz, Pflege und Betreuung immer mehr älterer Menschen wirft das Thema Digitalisierung ein ganz anderes und positives Licht. Sie kann die immensen Probleme zumindest abmildern, wenn ihr die Beteiligten eine Chance dazu geben. Und hier sind vor allem die Akteure auf Seiten der Leistungsträger und Leistungserbringer gefragt. Immer mehr Kunden und vielmehr die zukünftigen Kunden in der sozialen Versorgung fordern die Nutzung digitaler Medien, Kommunikation und plattformorientierte Versorgungsstrukturen ein.

Digitalisierung in der Sozialwirtschaft als entscheidender Faktor für die Erhaltung der Gesundheit und der Pflege

Ob es um Herausforderungen für die Pflegenden, die älteren Menschen selbst, um die geriatrische Forschung oder um die Organisation der Pflege geht – Digitalisierung in der Sozialwirtschaft kann auf allen Ebenen Hilfe und Entlastung sowie neue Erkenntnisse und Sichtweisen bieten. Die Pflegenden können durch digitale Pflegesysteme und Assistenz-Roboter unterstützt werden. Detailthemen können durch Einzelanwendungen wie zum Beispiel beim Thema Trinken durch intelligente Trinkbecher gelöst werden. Das Internet of Things bietet hier eine Fülle an Möglichkeiten, wie unsere eigenen Forschungsarbeiten zeigen. Die älteren Menschen selbst können ihre Selbstständigkeit durch digitale Lösungen nicht nur besser und länger erhalten, sondern im sozialen Raum und gesellschaftlichen Leben Teilhabe erfahren. Ein mit Smart Home- bzw. Ambient Assisted Living (AAL)-Technologien ausgestattetes Zuhause sichert die dort Wohnenden ab und kann Angehörige und Pflegende in der Betreuung unterstützen. Auch die Erst- und Notfallversorgung kann durch digitale Lösungen weiter verbessert werden, z. B. durch beste Routenplanung und Kommunikation des Notfallnetzwerkes untereinander. Der Arztbesuch lässt sich zumindest teilweise durch digitale Lösungen ins Haus holen. Nicht nur unsere skandinavischen Nachbarn, sondern auch in Übersee und in Osteuropa gibt es beeindruckende Ansätze. Dieser Ansatz verringert zudem für die Ärzte die Zahl ihrer Hausbesuche. Auch die Selbstständigkeit des älteren Menschen außerhalb der eigenen vier Wände kann durch Assistenz-Roboter verbessert werden, mehr Teilhabe im Sozialraum sind die positiven Effekte. Eine riesige Chance der Digitalisierung liegt auch in der Erforschung von Krankheiten wie Krebs und Alzheimer durch den Einsatz von Big Data Technologien bzw. den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Datenauswertung und den besseren digitalen Austausch der Forschungszentren untereinander.

Digitalisierung in der Sozialwirtschaft bietet immenses medizinisches und geschäftliches Potenzial

Die Digitalisierung bietet nicht nur den älteren Menschen, sondern auch der familiären und professionellen Pflege, sowie dem sozialen und medizinischen Netzwerk Chancen. Sie birgt auch ein großes und stark wachsendes geschäftliches Potenzial. Die Basis ist, dass sich die Vorstellung eines selbstbestimmten und aktiv mitgesteuerten Älterwerdens gesellschaftlich immer mehr durchsetzt. Die frühere Fremdbestimmtheit oder Abhängigkeit durch Kassen, Heime und Pflegeeinstufungen wird dagegen immer mehr hinterfragt. Dieses Umdenken lässt sich auch an dem zunehmenden Umsatz durch Gesundheits- und Fitness-Apps ablesen. Die Apps können dazu beitragen, die eigene Gesundheit zu erhalten, zu monitoren (Selbstvermessung des Menschen) und zu verbessern, um im Alter nicht in absolute Abhängigkeiten geraten zu müssen. Der Markt dafür ist immens.

Ein anderes großes geschäftliches Potenzial bieten die vielen neuen Wohnformen, in denen Generationenmodelle oder Alten-WGs – auch mit entsprechender digitaler Ausstattung – gelebt werden können. Dieser Trend verändert nicht nur den Immobilienmarkt gerade massiv, sondern wird für die Anbieter sozialer und pflegerischer Assistenz zunehmend ein entscheidender Faktor ihres Geschäftsmodells werden. Auch der zweite Gesundheitsmarkt mit individuellen Gesundheitsleistungen oder freiverkäuflichen Arzneimitteln und privatwirtschaftlichen Assistenzdienstleistungen boomt und rückt immer näher an den ersten heran. Dies zeigen deutlich unsere Aktivitäten aufgrund Nachfragen für diversifizierte ökonomische Plattformangebote.

Digitalisierung in der Sozialwirtschaft: Sozialwirtschaft „hinkt“ hinterher

Wo steht nun die Pflege in diesem sich stark wandelnden Umfeld von alternder Gesellschaft, Pflegenotstand, der gesellschaftlich veränderten Haltung zum Älterwerden und Altsein und den neuen digitalen Angeboten? Die Akteure in der Sozialwirtschaft sind meist beschäftigt mit dem Pflegenotstand und dem Erfüllen der jeweiligen gesetzlichen Verpflichtungen. Ihre Rolle innerhalb des oben beschriebenen gesellschaftlichen Wandels bezüglich dem „Neuen Altwerden“ überdenken die wenigsten einfach deswegen nicht, weil sie zu wenig Ressourcen dafür haben. Dabei sollten zumindest Anbieter von Assistenzleistungen, Pflegeeinrichtungen und stationären Betreuungslösungen hinterfragen, wie stark ihr Angebot künftig gesellschaftlich gefragt ist oder eben nicht mehr und andere Anbieter ihren Markt besetzen. Zentraler Denkansatz muss der Mensch sein, der selbst über seine Unterstützung, Betreuung, Pflege oder Assistenz entscheidet. Er wendet sich nicht nur an Anbieter der Sozialwirtschaft, sondern auch an den Healthcare-Sektor oder andere Leistungserbringer. Sozialwirtschaft und Healthcare-Sektor sollten daher, auch unterstützt durch digitale Systeme, viel mehr als bisher an einem Strang ziehen, um den Erwartungen der alternden Gesellschaft gerecht zu werden. Patientendaten vom Pflegeheim ins Krankenhaus, Informationen von Betreuern an den Hausarzt – diese und andere Prozesse sollten einfach digital abbildbar sein, um letztlich die Situation des Menschen zu verbessern.

Wenn sich die Sozialwirtschaft nicht selbst die digitalen Möglichkeiten für neue Angebote, bessere Leistungen und ein besseres Versorgungsnetzwerk rund um den Menschen öffnet, werden eher branchenferne Player dies übernehmen, Beispiele hierzu gibt es mittlerweile genügend. Die Basis dafür ist die konsequente Digitalisierung der eigenen Prozesse (z. B. durch AKQUINET-Lösungen wie CARE VIVA, CARE CIVA REFIN, EASY SAN, Telematiklösungen als SaaS und IaaS). Die IT-Anwendungen sollten besonders drei Kriterien erfüllen: Sicherheit der Daten und Prozesse, Plattformunabhängigkeit und modulare Bauweise für eine flexible Anpassung an Kundenbedürfnisse. Doch momentan wird, dies zeigen auch die Ergebnisse des „IT Reports für die Sozialwirtschaft 2018“ (Hrsg. Kath. Universität Eichstätt): Die IT wird eher als Kostenfaktor, nicht als Problemlöser wahrgenommen. Weniger als 20 % der darin Befragten meinen, dass IT dazu beiträgt, die Lebensqualität der Patienten verbessern zu können. Es muss endlich vom Kunden aus und produktorientiert gedacht werden und nicht mehr in der bisherigen traditionellen Leistungserbringung und Pflegesystematik.

Digitalisierung in der Sozialwirtschaft: Der neue Kunde ist digital-affin und will entscheiden

Sozialwirtschaftliche Anbieter sollten ihre Sichtweise anpassen, also vom zukünftigen Kunden her denken. Dieser ist digital-affin, er will selbst mitentscheiden und steuern. Welche Leistungen braucht und erwartet dieser Kunde? Dies sollte der gedankliche Ausgangspunkt auf dem Weg der Digitalisierung sein. Einrichtungen sowie Assistenz- und Pflege-Dienstleister müssen sich fragen, welche Chancen sie durch diesen „neuen Kunden“ haben und welche neuen Leistungen sie entwickeln können. Wie können sie durch digitale Unterstützung aktiv mit dem Pflegenotstand umgehen und ihre Prozesse digitalisieren, so dass der Kunde einen Mehrwert davon hat – zum Beispiel, dass der familiär oder professionell Pflegende wieder mehr Zeit mit und für den zu Pflegenden hat. Eine Lösung, die einerseits den „neuen Kunden“ interessiert, aber auch den Pflegenotstand abmildert, gibt es zum Beispiel in Skandinavien. Dort gibt es die digital unterstützte Quartiersunterstützung mit der organisierten Versorgung im Quartier, einer Nachbarschaftshilfe und der ambulanten Gesundheitsvorsorge mit ambulanten Pflegenden. Auch in Deutschland sollten wir überlegen, wie wir über die Digitalisierung neue Arbeitsmodelle für die Fachpflegeberufe entwickeln und generell „New Work“ auch in der Sozialwirtschaft angehen können. Andere Branchen testen die Möglichkeiten von Drohnen, VR und KI. In einem spanischen Bergdorf z. B. werden Menschen mit Assistenzbedarf über Drohnen mit Lebensmitteln, Medikamenten, sonstigen kleinen Einkäufen und sogar mit Mahlzeiten „aus der Luft“ unterstützt. Mehr offenes Denken kann auch in der Sozialwirtschaft in die Zukunft führen. Der Kunde ist manchmal schon viel weiter.

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